Der Ort, an dem niemand leben möchte

Der Ort, an dem niemand leben möchte

Hatte ich schon erwähnt, dass ich eine Schwäche für Friedhöfe habe?! Keine Tattoos, keine Piercings, keine Gruftiklamotten oder Punkfrisur und dennoch hing ich bereits als kleiner Jonny unheimlich gerne nachts zwischen erkalteten Leichen stummer Urahnen und totem Gestein auf Friedhöfen ab.

Am liebsten am Feiertag, an dem Deutschland geschlossen ein Kerzlein zum Totengruß entzündet und sich der gesamte Friedhof zur Dämmerung in ein rotes Lichtermeer verwandelt. Nächtliche Besuche haben sich glücklicherweise gelegt, doch gerade mit der Leidenschaft für Fotografie wird das Auge für interessante Motive geschärft. Neben Stränden, Landschaften und Architektur hänge ich insbesondere bei einem Motiv, schnell mit dem Finger am Abzug – Friedhöfe!

Ich habe auf meiner Reise eine Reihe Friedhöfe gesehen, die an Atmosphäre und Kuriosität nicht zu überbieten sind, wie beispielsweise in Mexiko, darüber habe ich bereits hier berichtet. Bunte Gräber, jährliche Friedhofsparties zum Gedenken an die Toten und das gesammelte Knochenwerk offen im Grab liegend. Interessante Art des Totenfestes, wild feiern und schlemmen, anstatt betrübt apathisch zwischen Kränzen zu spazieren. Ich würde gerne mal an einer dieser mexikanischen Partys teilnehmen.

Und dann begegne ich Jahre später einem Friedhof, auf dem man einfach nur begraben sein möchte. Als ich eines Nachmittags in Puerto Rico über eine Wiesenkuppe schlendere und über das satte Grün vor Puerto Ricos Stadtfestung blicke, offenbart sich mir ein Ort, der vollkommener nicht sein könnte. Ein Ort der Ruhe, für den man liebend gerne seine Wohnungsschlüssel hinschmeißen und seine 7 Sachen fürs Leben danach packen würde, um dann am Friedhofstor zu knocken und den nächsten Skeletor darum zu bitten, möglichst bald unter die Erde gebracht zu werden.

Steinerne Kreuze trotzen den rauen Witterungsbedingungen direkt an der Brandung Puerto Ricos Küste und sind stolz dem Ozean entgegen gerichtet, während perfekt surfbare Wellen in Richtung Gräber auslaufen. Mir läuft es eiskalt den Rücken herunter, als ich die perfekte Symbiose von Küste, Strand, Ozean und diesem einmaligen Ort der Ruhe vor mir habe. Die Atmosphäre ist gigantisch. Die Gräber bilden eine perfekt parallel zum Meer ausgerichtete Fläche an massivem Gestein mit zahlreichen kunstvollen Madonnen, beeindruckenden Jesusstatuen und Engelsfiguren und schlichten, großen Kreuzen.

Ich kann mir regelrecht vorstellen, wie der ein oder andere „Bewohner“ dieses Friedhofs sich zum Vollmond seine Grabplatte schnappt und einige Wellen absurft, bevor es auf einen Absacker zum Afterlife-Absinth in den kunstvoll errichteten roten Kuppelbau mit Rundbögen geht.

Kein Stress mehr an einem Ort wie diesen, dem Ort für die ultimative Work-Death-Balance. Ab und zu schieben sich gewaltige Kreuzfahrtdampfer mit lebendem Material Richtung Hafen und liefern dem Friedhofsvolk eine willkommene Abwechslung und mir eine bizarre Kulisse.

Puerto Rico hat mich in bereits einigen Punkten äußerst überrascht. Nun erneut, mit einem der speziellsten Orte der Welt, den ich sicher nicht vergessen werden. Fernab der üblichen Weltreiserouten befindet sich ein Ort, an dem niemand leben möchte…aber vielleicht sterben.

 

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