Places to visit before you die: Jerusalem – Die Klagemauer

Places to visit before you die: Jerusalem – Die Klagemauer

Israel, Jerusalem, damals 10 Monate unterwegs auf meiner Reise um die Welt. Während ich durch die engen Gassen der Altstadt Jerusalems bummele, weiß ich noch nicht, dass ich in Kürze auf einen der spektakulärsten Orte meiner Reise treffen werde und einen der emotionalsten Momente des Jahres erlebe. Es herrschen angenehme Temperaturen, wolkenloser blauer Himmel – die Sonne scheint. In den Straßen feiern einige jüdische Gruppen mit Trommelmusik und lautem Gesang, vermutlich ist es das Bar Mitzwa, von dem ich in den vergangenen Tagen bereits häufiger hörte. Der Tag an dem Jungen und Mädchen religionsmündig werden. Zwei Trommler führen eine Gruppe an und mit lautem Gesang, Luftballons und fröhlichem Jubel wird gefeiert. Das sieht nach jeder Menge Spaß aus. Ich schiesse ein paar Fotos, wovon sich die 20-Mann große Gruppe nicht weiter stören lässt. Langsam biegen sie in eine Seitenstraße ein. Der Sound der Bongos ist noch eine ganze Weile zu hören und verstummt erst Minuten später.

Der Geruch von Shawarma verbreitet sich in der Luft und macht es unmöglich der Versuchung zu widerstehen, das leckere arabische Fleischgericht sofort zu kaufen. Ich mache es mir auf einem Stein ungemütlich, um mich voll und ganz dem Pita ähnlichen Fladengericht zu widmen. Die gesamte Altstadt besteht aus Stein, altem beigefarbenem, sandigem Stein. Sie gibt Jerusalem den optischen Eindruck, den wir als Besucher von ihr erwarten, historisch, alt, biblisch, zäh. Jeder Baum, jede Blume und jedes Stück Gras wirkt hier fehl am Platze. Der Ort besticht durch seine Trockenheit und Farblosigkeit. Einzig die Händlergassen zeigen Farbe, durch Teppiche, die von Mauervorsprüngen hängen und handgemachten Souvenirs aus bunten Stoffen, die vor den Läden ausgelegt werden. Wie bunte Farbkleckse dekorieren sie die Altstadt Jerusalems, deren Kern rau und kahl wirkt, geprägt durch das Klima der Halbwüste und irgendwie auch durch die Mentalität der Israelis, die von sich selber sagen, Ihre Persönlichkeit gleiche einer Kaktusfrucht, außen rau und innen saftig süß.

Nachdem ich das Shawarma „erledigt“ habe, mache ich mich wieder auf den Weg. Ich nehme eine Abzweigung durch ein hohes Rundbogentor, einige Kids haben die enge Gasse zum Fußballplatz umfunktioniert. Kein Gras, kein Tor. Von links nach rechts. Wie simpel. Sechs Kids und ein Ball. Mehr ist nicht nötig, um Glück zu erfahren. Zumindest wer sich noch nicht im Trott der Gesellschaft befindet und sich Kind schimpfen darf, weiß dies zu bestätigen. Ich erinnere mich an meine eigene Kinderzeit, eine wunderbare Welt ohne i´s. Kein iPad, kein iPhone und kein iPod – keine Tablets, MacBooks oder Wii´s.

Wir haben stattdessen in die klobigen Tasten eines Ataris gehauen oder Spielkarten mit Wäscheklammern zwischen die Fahrradspeichen geklemmt, um den ungedämpften Auspuffsound der Kreidlers nachzuahmen. Musik wurde von 10-Meter langen Kunststoffbänder in Walkmen abgespielt und wir haben mit Kreide auf den Asphalt gemalt, wir haben uns gegenseitig in die Baugrube geschubst und Schlamm gefressen, wir haben mit rostigen Nägeln Hütten gebaut oder Flöße aus knorrigen, trockenen Ästen und deren Schwimmtauglichkeit wagemutig auf dem nächsten See getestet, meine Güte, wie konnte das nur so lange gutgehen?

Irgendwie habe ich das Gefühl, als wenn genau das alles hier noch so stattfindet, wie ich es vor dreissig wenigen Jahren selbst erlebt habe.

Ein Junge fällt mir besonders auf. Er ist von Kopf bis Fuß im Fußballdress gekleidet. Ronaldo, die Nummer 7 lässt sich durch nichts ablenken, selbst als ich mitten durch das „Grün“ laufe, stellt er engagiert dem runden Leder nach und verpasst dem abgelenkten Keeper ein Tor.

Die Klagemauer

Einige Treppen führen mich bergauf, das Stimmengewirr nimmt zu, im Hintergrund die trommelnden und singenden jüdischen Familien. Wenig später dann erreiche ich eine Anhöhe, freier Blick auf die goldene Kuppel des Felsendoms, ein alter Turm links von ihr. Ein hölzerner Bau führt wie eine Gangway gegen eine alte Stadtmauer. Als ich so hinunterschaue auf den Platz, der sich mir hier offenbart, bekomme ich eine Gänsehaut. Menschenmassen bewegen sich in eine Richtung. Mich beschleicht das Gefühl, ich sei an diesem Ort schon einmal gewesen. Alles scheint so vertraut und bekannt. Der Ort bringt eine unheimlich starke Atmosphäre mit. Wirre Gedanken machen sich breit, bemüht um eine Erklärung für das Phänomen, des Ich-war-schon-mal-hier-seins.

Ich stoppe einen Einheimischen und zeige in die Richtung des Felsendoms. Ich frage ihn, was für ein Platz vor uns liegt.

„This is the Western Wall, my friend.“ antwortet er mir. Die westliche Mauer?!

„The Wailing Wall, where jewish people pray.“

Und dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich befinde mich an der Klagemauer Jerusalems, einem der heiligsten Orte des jüdischen Glaubens. Plötzlich fallen mir alte Filme aus den 80ern ein, in denen ich die Mauer und den gesamten Platz vermutlich exakt so, wie er sich mir nun offenbart, schon einmal gesehen habe. Vielleicht ist dies auch der Grund, warum der Ort so viel Vertrautheit ausstrahlt und ich bin erleichtert, den Termin mit dem Parapsychologen meines Vertrauens nicht in Anspruch nehmen zu müssen.

Die Mauer ist 18 Meter hoch und bildet die Westmauer des Areals des 2. Jüdischen Tempels. Israelis bevorzugen die Bezeichnung „Western Wall“ oder „Kotel“, gegenüber „Wailing Wall“ (Klagemauer), denn der Ort ist keineswegs eine Mauer der Klage, sondern ein heiliger Ort des Gebets. Unsere deutsche Bezeichnung ist also missverständlich. Etwa ein Drittel der Mauer befindet sich unter der Erdoberfläche. Einige Tunnel führen außerdem im Untergrund an der Mauer entlang und können besichtigt werden. Die Mauer stellt ein Symbol für den ewigen Bund Gottes mit dem von ihm ausgewählten Volk Israels dar. Riesige rechteckige Steinblöcke gehen über in Kleinere im oberen Bereich der Mauer, die majestätisch gen tiefblauen Himmel ragt. Zwergenklein wirken die Menschen, die sich am Fuße der Mauer in Reih und Glied zum Beten positioniert haben. Einige grüne Büsche wachsen wie aus dem Nichts aus den Mauerritzen und bringen etwas Farbe ins Bild.

Ein Mix aus Besuchern, Israelis, Kindern, Soldaten in voller Montur und Juden im traditionellen schwarzen Gewand mit Hut, stehen vor der riesigen Mauer, die Handflächen berühren das heilige Gestein, die Augen geschlossen, betend zu Gott. Einer der Juden fällt mir besonders auf und ich werde ihn in den kommenden Tagen noch häufiger hier sehen, denn es zieht mich mehrere Male zurück an diesen Ort. Seine Kleidung ist von Staub bedeckt, seine Schuhe abgetragen, sein Blick entschlossen. Zielgerichtet steuert er die Mauer an, legt seine Wange liebevoll ans Gestein, schließt die Augen und betet. Für Stunden. Jeden Tag. Er bewegt sich keinen Milimeter und der Ausdruck in seinem Gesicht zeigt innige Verbundenheit und Vertrautheit. Ich bin fasziniert und auf der Jagd nach eindrucksvollen Fotos, rücke ich ihm mit meiner Linse auf den Leib und schieße damals eine Nahaufnahme. Ein Foto, welches als Titelbild für exakt diesen Artikel gedacht war. Aus Respekt an seinen Glauben, kann ich es heute nicht mehr posten.

Ich habe bereits im vorhergehenden Jerusalem Artikel (Via Delarosa) über die für uns unvorstellbare Intensität berichtet, mit der die Menschen ihren Glauben praktizieren. Eine Erfahrung, die mich tief geprägt und bewegt hat, eine Tatsache, die ich respektiere und die jeden Beobachter mit offenem Herzen zum Nachdenken anregt. Warum wird Glauben in nahezu allen anderen Ländern mit so viel mehr Leidenschaft praktiziert? Hierzulande jedenfalls spielt er eine beherrschende Rolle, unabhängig von der Religion. Eine schier unendliche Liste an Glaubensgemeinschaften findet sich hier konzentriert an einem Ort und macht Jerusalem zum Spannungsfeld und Mittelpunkt der Welt gleichermaßen.

Ein einzelner Jude im Tallit, dem jüdischen Gebetsmantel, bewegt sich zur Mauer. Der Tallit wird nur von verheirateten Männern getragen und gläubige Juden werden darin auch bestattet. Der schwarze Kasten, der mittels Bändern vor der Stirn gehalten wird, ist der Tefillin. Er beinhaltet auf Pergament handgeschriebene Schriftrollen mit Texten aus der Torah, die wiederrum die 5 Bücher Moses beinhalten. Das Tragen der Tefillin dient der Ermahnung zur Einhaltung Gottes Gebote.

Am Zugang zur Mauer liegen sogennante Kippas bereit, die jüdische Kopfbedeckung, ohne die sich niemand der Mauer nähern darf. Die Kippa signalisiert Gottesfurcht und Bescheidenheit vor Gott. Unbedachte Touristen übersehen den kleinen Stand regelmäßig und werden umgehend von den Locals gestoppt und aufgefordert Ihr Haupt mit dem kleinen Stück Stoff zu bedecken. Für uneinsichtige Besucher hat man hier wenig Verständnis und ein harscher Ton ist schnell angeschlagen. Zum Teil starke Winde wehen die Kippa von den Köpfen der Besucher und regelmäßig hechten Touristen hinter ihren Kopfbedeckungen her. Locals haben mit Haarklammern vorgesorgt. Die Touristen werden von der lokalen, hier betenden Bevölkerung, weitestgehend ignoriert. Man toleriert das Interesse an der Mauer und duldet den vor der Kamera posierenden Gast, der mit breitem Grinsen für das Erinnerungsfoto neben den demütig, betenden Gläubigen winkt. Eine bizarre Situation. Ein besonderer Ort.

Die Gebetszettel

In die Ritzen der Mauer, zwischen die gewaltigen Kalksteinblöcke stecken Touristen kleine Zettel. Tausende von Menschen schreiben hier ihre Gebete nieder und hinterlassen sie an der Klagemauer in der Hoffnung, das ihre Gebete erhört werden. Wie stumme Zeugen füllen sie die Abstände zwischen den Steinen bis zum Überquillen und immer wieder sehe ich einzelne Zettel herausfallen. Vor allem, wenn man seinen eigenen Gebetswunsch platzieren möchte, fallen unwillkürlich einige Zettel zu Boden. Einige Menschen bemühen sich dann, die herausgefallenen Zettel wieder hinein zuklemmen, andere scheren sich nicht weiter darum – Hauptsache das eigene Gebet findet seinen Platz in der Mauer. Persönliche Zielerreichung vor Nächstenliebe, mit Gottes Hilfe.

Zum Abend hin werden die am Boden liegenden Zettel dann zusammengekehrt und weggeschafft. Ich sorge also dafür das mein persönliches Jonnygebet jedem Erdbeben und jeder Pauschaltouristenignoranz standhält und verfrachte es eine Armlänge tief in der Mauer.

Die Klagemauer am Sabbath

Ich empfehle, die Klagemauer definitiv zweimal zu besuchen. Einmal unter der Woche, wenn sich nur wenige Besucher dort befinden um die einmalige Atmosphäre genießen zu können. Und dann noch einmal zum absoluten Höhepunkt, dem Sabbat, wenn der Platz vor der Mauer von Tausenden von Menschen überströmt wird und der Sabbat mit Gesang und Tanz von den Gläubigen gefeiert wird. Ein unvergessliches Erlebnis!

Bereits als ich mich auf dem Weg zur Mauer befinde, gegen 18 Uhr nachmittags an einem Samstag, bemerke ich das die kleinen Gassen der Altstadt plötzlich enger erscheinen. Viel mehr Menschen sind unterwegs. Aufgeregt wuseln sie Richtung Western Wall, da liegt etwas in der Luft, das ich mit Worten nicht beschreiben kann.

Als ich dann am Ort des Geschehens eintreffe, befinden sich bereits Hunderte von Menschen hier. Ein Trupp von Soldaten hat einen Kreis gebildet, die Arme jeweils über die Schultern des nächsten gelegt tanzen und singen sie ausgelassen und fröhlich. Es herrscht strikte Geschlechtertrennung. Die Abgrenzung zum Frauenbereich verschwindet beinahe komplett im Meer aus Köpfen und Hüten. Neugierig schauen die Frauen auf die Männerseite, von der so viel fröhlicher Lärm herüber schallt.

Es beginnt zu dämmern und das Treiben nimmt kein Ende. Noch immer beten und feiern Tausende von Menschen und ein klarer blauer Himmel, gepaart mit Scheinwerferlicht taucht den heiligen Ort in eine wieder neue, unglaubliche Atmosphäre. Ein reges Treiben findet statt. Der gesamte Platz ist eingelullt in eine Art Glocke, völlig isoliert vom Rest Jerusalems und allen Problemen dort draussen in der Welt. Man spürt, das die Israelis auf diesen Tag die ganze Woche hin fiebern und die Feier am Sabbath ihnen ein Gefühl von Leichtigkeit und Freude gibt.

Die „Western Wall“,

…ich mag nach diesem Erlebnis nicht mehr Klagemauer sagen – ein Ort des Gebets und der Demut vor Gott aber auch der Freude, des Tanzes und des Gesangs. Höchst beeindruckend, von dramatischer geschichtlicher und religiöser Bedeutung, tief bewegend und emotional verändernd. Ein Schmuckstück im Herzen jedes Reisenden auf der Suche nach den Orten und Momenten, die man nie vermisste, weil man sie nicht kannte und deren Erinnerung man nicht mehr missen möchte, nachdem man einmal das Vergnügen hatte.

Weiterlesen macht klug

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6 comments

  1. wow, wow, wow … kann ich nur sagen.
    unglaublich bewegend und mitreisend geschrieben, man fühlt sich fast mit dir auf reisen durch jerusalem.
    toll diese hingabe der menschen und deine offenheit

    lg

    • admin

      Ich danke Euch 😉 ja, in der Tat ein unglaublicher Ort, der definitiv eine Reise wert ist. Wenn ihr die Chance habt, lasst Jerusalem keinesfalls aus!

  2. Ich fand die Western Wall ebenfalls sehr beeindruckend und fühle mich nach der Lektüre dieses ästhetischen Artikels wieder dort hin zurückversetzt 🙂

    • admin

      „ästhetischen“ Artikels? Das klingt gut 😀

  3. Chris

    Sehr schön geschrieben! Vielen dank für deine Artikel, macht jedes mal wieder Lust auf Reisen! 🙂

    Mach weiter so! Viele Grüße